Vor zwanzig Jahren war ich ein richtiger Stadtmensch. Ich liebte es, in der Großstadt zu wohnen. Wobei man Hannover nicht gerade als Großstadt bezeichnen kann, sondern eher als gemütliche Stadt. Meine Mutti hat sich hier auch wohl gefühlt. Wir machten immer ausgedehnte Spaziergänge durch die Eilenriede oder die gepflegten Parkanlagen. Insbesondere die Herrenhäuser Gärten waren sehenswert, und schon damals machte es mir Spaß, die Enten zu füttern. Nur vor dem Prinzen sollte ich mich in acht nehmen. Georg, so sein Name, sei recht schlagfertig, im wahrsten Sinne des Wortes. Ob es sich hierbei nur um Gerüchte handelte, wußte ich zum damaligen Zeitpunkt noch nicht. Mein Papa mochte auch Herrenhäuser, allerdings nicht die Parkanlagen, sondern den leckeren Gerstensaft. Zum wohlverdienten Feierabend war so ein kühles Blondes nicht zu verachten.

Als ich älter wurde, interessierte ich mich nicht mehr für die Parkanlagen. Meine Vorliebe galt nun der Rotation. Der Name kam von einer großen Zeitungs-Rotationsanlage. Dort wurde damals die Hannoversche Allgemeine Zeitung gedruckt.
Doch irgendwann standen die Räume leer, und Herr Müller baute das Gebäude zu einer riesigen Diskothek um.
Samstags war ich recht oft dort. Leider kam ich nicht immer rein, denn es war nicht einfach an den Türstehern vorbeizukommen.

Ich wurde älter, und konnte meine jugendlichen Hörner abstoßen, wie man so schön sagt. Im Laufe der Zeit wurde mir das Stadtleben zu hektisch, und ich zog aufs Land. Bei uns gibt es ein großes Waldgebiet im Süden Hannovers. Es heißt Deister, und dort geht es sogar richtig in die Höhe. Weit dahinter liegt der Süntel, ein Ausläufer des Weserberglands. Im Tal zwischen Deister und Süntel gibt es romantische Dörfer, Schmarrie und Hülsede zum Beispiel. Dort liegt auch Pohle, ein sehr schmales, dafür aber extrem langgezogenes Dorf. Wenn man den weg entlangfährt, hat man den Eindruck, er würde gar kein Ende nehmen.

Ich nahm also meine sieben Sachen, und zog nach Hülsede in die Steinecke. Unser Grundstück lag direkt am Hang. Von der Ferne war es schön anzusehen, solche Hanglagen sind romantisch und gemütlich. Nur das Rasenmähen ist anstrengend.
Auf dem Grundstück wollte ich einige Enten halten. Da wir aber keinen Teich haben, verfolgte ich den Gedanken nicht weiter.

Doch ich bin tierlieb, und so wollte ich einige Hühner halten. Von einem befreundeten Biohof bekam ich zwei Hühner geschenkt. Es handelte sich um zwei Glattfußhühner. Sie sind pflegeleicht, legen nebenbei wohlschmeckende Eier, und zupfen fleisig das Unkraut aus dem Rasen. Da ich kein Auto habe, holte ich sie mit dem Fahrrad ab. Es sah richtig witzig aus. Ich in Latzhose auf meinem alten Mountain-Bike, mit einem dicken Drahtkäfig auf dem Gepäckträger. Zuhause angekommen, ließ ich die Hühner in die Freiheit. Vorher hatte ich schon einige Körner geholt, denn auch diese Hühner müssen zugefüttert werden.

Was ich aber nicht bedacht hatte, war die Hanglage meines Grundstücks. Ich traute meinen Augen nicht: die Hühner kamen mit der schräge nicht klar. Sie konnten zwar ein wenig den Hang herauffkrabbeln, fanden aber mit ihren Plattfüßen keinen Halt. Sie purzelten einfach herunter. Spontan montierte ich einige Stützdrähte, die sich aber als wirkungslos zeigten. Die Ankerpfosten fanden in dem lehmigen Boden nicht genug halt, und immer wenn ein Huhn herunterpurzelte, wurden sie aus ihrem Fundament gezogen.

Schweren Herzens brachte ich die Hühner zum Biohof zurück. Zum Glück kannte der Bauer das Problem und fragte mich, wieso ich ihm nicht gleich davon berichtet hätte. Denn es gibt eine spezielle Züchtung für Hanglagen.

Der Zuchtbetrieb ist ein traditioneller Betrieb in Wisselstedte, ganz in der Nähe von Bielefeld. Ein weiterer Zuchtbetrieb befindet sich bei Jever, ganz im hohen Norden. Dort werden nicht nur Hanghühner, sondern auch Hangschafe gezüchtet. Diese sogenannten Deichschafe sind hervorragend für die Deichanlagen geeignet. Durch ihren festen Tritt wird der Deich gefestigt, somit sind sie ein wertvoller Schutz für die großen Deichanlagen, die zum Schutz gegen eine Sturmflut notwendig sind.

Egal ob Hanghuhn oder Deichschaf: die Fachleute sind sich derzeit noch uneinig, ob es sich um eine natürliche Mutation handelt, oder um eine genetische Anpassung. So ganz paßt es ja nicht zur Evolutionstheorie. Die von der Kirche - insbesondere vom Papst - lange Zeit angezweifelte Evolutionstheorie wird nach aktuellen Berichten inzwischen anerkannt.

Normale Hühner besitzen zwei gleichlange - also symmetrische - Beine. Bei einem Hanghuhn jedoch ist das abgründige Bein deutlich länger. Der Längenunterschied beträgt bis zu 5 cm, was bei einer durchschnittlichen Beinlänge von 12 cm einem Unterschied von fast 40% beträgt. Da das meiste Körpergewicht auf dem abgründigen Bein liegt, wird es stärker als die anderen belastet. Der gesamte Knochenaufbau muß kräftiger sein, und zudem mehr Muskelmasse besitzen. Eine mineralienreiche Ernährung ist notwendig, insbesondere in der ersten Wachstumsphase.

Die Junghühner müssen frühzeitig an die Schräglage gewöhnt werden. Bei einer progressiven Freilandhaltung kein einfaches unterfangen, da sich die Hühner frei bewegen. Um eine Ausrichtung auf eine forcierte Hanglage zu erreichen, bedient man sich eines kleinen Tricks:

Es wird künstlich Wind erzeugt. Dieser darf nicht böig sein, sondern muß kontinuierlich vorherrschen. Hierzu werden große Windräder eingesetzt. Normalerweise dienen Windräder der alternativen Stromerzeugung. Wird ein Windrad jedoch verpolt angeschlossen, kann man es als Windgenerator einsetzen. Der überschüssige und stets vorhandene Strom dient sodann der Winderzeugung.

Die Hühner sind bemüht, dem Wind möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten, und richten sich stromlinienförmig auf. Dabei gibt es links- und rechtsgerichtete Hühner, je nach Vorzugsrichtung.

Die Wachstumsphase ist nach wenigen Monaten abgeschlossen, und die Tiere können verkaufsfertig gemacht werden.
Hierfür sind spezielle Transportkisten mit integrierter Schräge notwendig.
Damit die Tiere während der Fahrt genug Halt haben, werden hierfür Weichhölzer, wie z.B. Kiefernholzplatten, eingesetzt.

Ein weiterer Vorteil:
durch den beständigen Wind wird der Kamm des Huhnes wesentlich ausgeprägter und stabiler, von ihrem Habitus wirken diese Hühner fast genauso wie die edlen und teuren Steinhühner, allerdings ohne die Farbigkeit wie man sie sonst bei Alpenschneehühnern sieht. Es scheint fast so, als würden sie zur Art der Birkhühner gehören, so aufrecht und stolz wie sie dastehen.

Somit war mein Entschluß gefallen, für mein Grundstück drei bis vier Hanghühner einzusetzen. Die Bestellung konnte ich zum Glück telefonisch vornehmen, und die Hühner wurden kurzfristig geliefert. Die Anlieferung war ohne weitere Kosten verbunden, da der Zuchtbetrieb nicht so weit von mir entfernt ist, und die Route auf einer bereits geplanten Strecke lag. Der Züchter fährt anscheinend regelmäßig diese Strecke, und er hat sie persönlich bei mir vorbeigebracht.

Die Hühner haben sich schnell an uns gewöhnt, und ich habe sie mittlerweile so richtig lieb gewonnen. Nur unsere Katzen schauten am Anfang etwas irritiert.

Als nächstes wollen wir uns noch einige Deichschafe anschaffen, und haben uns auch schon zwei Tiere ausgesucht. Heidschnucken wären für uns etwas zu groß, uns so haben wir uns für das Coburger Fuchsschaf entschieden. Das Coburger Fuchsschaf hat ein beiges Fell, mit einer harmonisch roten Melierung. Meine Oma strickt sehr gerne. Wenn ich daran denke, was sie schon alles für mich gestrickt hat, wird mir so richtig warm ums Herz.

Hanghuhn - Vielen Dank an Lydia D. für die Zeichnung

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